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LITERATUR
zu übertragen. Im fünften Kapitel geht es um die außerordentlichen politischen Herausforderungen, die sich sowohl für den DAB und seine Mitglieder als auch für IFUW aus der nationalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933 ergaben. Das sechste Kapitel rückt ins Blickfeld, was bislang weder in der Wissenschafts- noch in der Emigrationsforschung Beachtung ge- funden hat. Das akademische Netzwerk weiblicher Weltgemeinschaft fungierte zwi- schen 1933 und 1945 als effiziente Flucht- hilfeorganisation für seine verfolgten Mit- glieder. Die Autorin legt im Kapitel 7 dar, wie jüdische Akademikerinnen selbst auf die zunehmende Entrechtung reagieren, was sie sich von ihren Kolleginnen im Aus-
land an Hilfe erhoffen und wie sie ihr Leben und ihren weiteren Berufsweg in der Emi- gration meisterten. Kapitel 8 umfasst die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und die Frage, inwieweit und wie es Akademike- rinnen in Deutschland gelang, sich erneut international und national zu vernetzen und an Versuche weiblicher akademischer Traditionsbildung nach angloamerikani- schem Muster anzuknüpfen.
Manche Archivbestände sind durch Auf- lösung und Umzug nicht mehr zugänglich. Der Titel des vorliegenden Buches lässt nicht sofort auf das interessante Thema des Inhaltes schließen. Ich hätte den Nebenti- tel: »Zur transnationalen [internationalen] Vernetzung von Akademikerinnen 1917 -
1955« als Haupttitel vorgezogen. Bezüg- lich des Bibliographischen Anhanges merke ich an, dass die deutlichere Angabe des Her- kunftslandes wünschenswert gewesen wäre.
Fazit
Das Buch ist trotz der Fülle von Fakten eine recht gut lesbare und klare Untersuchung der umfassenden Geschichte des DAB vor dem Hintergrund der transnationalen Ver- netzung.
Der Inhalt dieses Werkes ist längst über- fällig und sollte von jeder DAB-Mitglieds- frau gelesen werden.
Gisela Kordes, DAB-Gruppe Kiel, 2015
Livia Loosen:
Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiserreichs
Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884 – 1919
transcript Verlag Bielefeld 2014, 678 S. – ISBN 978-3-8376-2836-4
Die Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs ist kurz und endete mit dem Ersten Weltkrieg. Seine Kolonien be- fanden sich vor allem in Afrika. Wenn wir an deutsche Kolonien denken, steht Süd- westafrika, das heutige Namibia, ganz oben in unserer Erinnerung. Aber auch in der Südsee gab es einige Inseln, die deutsche Kolonien waren.
Auch in der deutschen wissenschaftlichen Literatur spielt vor allem die Beschäftigung mit den afrikanischen Kolonien eine Rolle. Die Südsee-Kolonien waren eine Neben- sache. Livia Loosen hat mit ihrer Doktorar- beit besonders in Bezug auf die Rolle der deutschen Frauen in den deutschen Ko- lonien der Südsee einen bedeutenden Bei- trag zur Kolonialgeschichte erstellt.
Durch ihre umfangreichen Recherchen stand ihr unter anderem bisher unbekann-
tes, nicht veröffentlichtes Primärmaterial aus Privatbesitz zur Verfügung. Die Infor- mationen aus den vielen Briefen und Be- richten der deutschen Frauen in den Süd- see-Kolonien, sei es an die Verwandtschaft oder auch an die sie entsendenden kirch- lichen Missionen oder weltlichen Hilfsor- ganisationen wurden in dieser Arbeit her- vorragend aufgeschlüsselt, wobei allerdings Wiederholungen nicht ausbleiben konnten. Bestimmte Aussagen und Beschreibungen können eben verschiedenen Analysekate- gorien zugeordnet werden.
Aber durch die vielen, verschiedenen Analyseaspekte wird der Alltag der Frauen in der Südsee sehr transparent.
Beim Lesen dieser über 600 Seiten star- ken Dissertation darf man nicht vergessen, dass es eine historische Arbeit ist, keine so- zialwissenschaftliche. Es geht nicht um
Frauenrechte, nicht um Emanzipation, son- dern um die Darstellung weiblicher Lebens- welten in ausgesprochen dienender Funk- tion, die von den Frauen selbst gewählt wurde und völlig dem Zeitgeist entsprach. Dabei thematisiert die Verfasserin diese Grundeinstellung der Frauen immer wieder und weist auf das weitgehende Fehlen von emanzipatorischen Gedanken bei den Frauen hin. Das Rollenverständnis aller deutschen Frauen in den Südsee-Kolonien war dem traditionellen europäischen Frauenbild des Bürgertums verhaftet: Die Frau als Diene- rin des Mannes und als seine Gefährtin.
Alle die Frauen, die Schriftliches hinter- lassen haben, waren offensichtlich noch nicht mit den Gedanken der deutschen Frauenbewegung, wie sie sich in der zweit- en Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickel- ten, in Berührung gekommen. Diese
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