Page 11 - Konsens 2015
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Anlass für die Attacken ist ein Interview mit der Soziologin Elisabeth Tuider über liberale Sexualpädagogik. Sie empfiehlt, im Sexualkundeunterricht nicht nur über Krank- heiten, Schwangerschaft und Verhütung zu sprechen, sondern auch über Sexual- praktiken, Ängste, Vorurteile und Klischees. Nachdem das Interview im Sommer veröf- fentlicht worden war, wurde die Professo- rin mit Mord- und Vergewaltigungsdrohun- gen eingedeckt. „Noch vor dreißig Jahren hätte man so eine Alte in den Knast gesteckt und sie so lange dort behalten, bis sie ver- rottet wäre“, schrieb Bestseller-Autor Akif Pirinçci. Ein Anwalt schlug vor, „dieses Pä- derastenweib ... im Gangbang-Style anal zu penetrieren“. Ein Eduard Schritter hätte nichts dagegen, „diesen Genderlesben 8 x 9 mm in das dumme Gehirn zu jagen“.
Angriff auf Gender Studies
Massive Drohungen gingen auch an Kolle- gen, die sich mit Tuider solidarisierten und zum respektvollen Dialog aufriefen. Einzel- ne Fachgesellschaften und Universitäten
unterstützten die Betroffenen öffentlich. Die Drohungen seien nicht gegen einzel- ne Personen gerichtet, sondern ein Angriff auf das Fach Gender Studies. Kurz vor Jah- resende reagierten die Rektoren und Präsi- denten der Berliner Hochschulen mit einer gemeinsamen Erklärung. Die Attacken seien inakzeptabel: „Gerade die Gender Studies befördern die kritische Auseinandersetzung mit Diskriminierungen, die differenzierte Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit und Ungleichheit und damit die Demokratisie- rung unserer Gesellschaft.“ Ein fair und sachlich ausgetragener wissenschaftlicher Meinungsstreit sei das Lebenselixier einer Hochschule, nicht aber persönliche Diffa- mierungen und Angriffe auf ein Fach.
Ausdruck existenzieller Verunsicherung
Soziologin Sabine Hark von der Techni- schen Universität Berlin sagte im „Tages- spiegel“, es sei neu, dass der professorale Status keinen Schutz mehr vor solchen At- tacken biete. Für Soziologin Susanne Völker,
Vorsitzende der Fachgesellschaft Gender Studies, sind die Angriffe Ausdruck exis- tenzieller Verunsicherung. Arbeitsplätze und damit die eigene Existenz seien gefähr- deter. Einzelne Männer würden ihre Unsi- cherheit über die Geschlechterfrage austra- gen. Sogar seriöse Medien würden immer wieder versuchen, Gender Studies als un- wissenschaftlich darzustellen.
Nur wenig Professuren
Laut Sabine Hark ist die Verunsicherung auch an den Universitäten spürbar. Kolle- gen hätten das Gefühl, überall würden auf Kosten anderer Fächer Gender-Studies-Lehr- stühle eingerichtet. Statistisch trifft dies nicht zu, sagt Susanne Völker: Sabine Hark habe in Deutschland die einzige Professur inne, die sich ausschließlich mit Gender Studies befasst. 160 Professuren hätten in- nerhalb ihrer Disziplin einen Gender- Schwerpunkt. Das seien nur 0,4 Prozent aller Professuren. Völker: „Dass die Gen- der Studies etwas erreicht haben, wird schon als Angriff gewertet.“
FAS vom 14. März 2015:
Den Viren auf der Spur – Forschungs-Vorbilder für junge Frauen
Auf dem Weg zu Angelika Riemer be- gibt man sich in eine Gefahrenzone. Schwarz-gelbe Schilder warnen vor einer „biologischen Gefahr“, Besucher müssen einen unvorteilhaften blauen Kittel über- ziehen, um zu ihrem Büro zu gelangen. Die 38 Jahre alte Forscherin arbeitet im Deut- schen Krebsforschungszentrum in Heidel- berg, genauer gesagt in der Abteilung „An- gewandte Tumorvirologie“. Hier hantieren die Wissenschaftler tagein, tagaus mit Viren und Antikörpern.
Riemers Lieblingsvirus ist das Humane Papillomavirus. Der Fachbegriff geht ihr mit so viel Begeisterung über die Lippen, als würde sie von ihrem letzten Bahamas- Urlaub erzählen. Schon seit Jahren kämpft sie gegen das Virus, das Gebärmutterhals- krebs auslösen kann. Der deutsche Wissen- schaftler Harald zur Hausen hat diesen Zu- sammenhang aufgedeckt und einen Impf- stoff entwickelt, 2008 wurde er dafür mit dem Nobelpreis belohnt. Jetzt will Riemer noch einen draufsetzen: Gemeinsam mit
ihrem Team arbeitet sie an einem Impfstoff, der nicht vorbeugt, sondern heilt – ein ganz und gar nicht unbedeutendes Forschungs- gebiet, wenn man bedenkt, dass wohl jeder sexuell aktive Mensch in seinem Leben in Kontakt mit dem Virus kommt.
Schon früh ahnte die hochintelligente Salzburgerin, dass ein Routinejob nichts für sie sein würde. Sie wollte an etwas Neuem arbeiten, sie wollte in die Forschung. Des- halb zog sie nach dem Abitur nach Wien und studierte dort Medizin. Als sie im Stu-
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AUS DER PRESSE
Die Frankfurer Allgemeine Sonntagszeitung berichtet am 7. Januar 2015: Unis verurteilen Hetze gegen Forscherinnen
In Deutschland reagieren Uni-Rektoren auf Mord-und Vergewaltigungsdrohungen gegen Gender- Forscherinnen. Diese seien „inakzeptabel“.
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