Page 13 - Konsens 2015
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Ausschnitt aus der FAS vom 24. Mai 2015:
Sind unsere Schulen technikfeindlich?
Ja, sagt BASF-Chef Kurt Bock. Nein, hält Bildungsministerin Johanna Wanka dagegen: Die Schule ist nicht nur für die Wirtschaft da
Viele Personalchefs klagen: Es wird immer schwieriger, Absolventen aus mathematisch-naturwissenschaftlichen Fä- chern zu finden.
Wanka: Angesichts steigender Studien- anfängerzahlen kann ich das nur schwer nachvollziehen. Das staatliche Bildungssys- tem hat nicht die Aufgabe, die Bedürfnisse der Wirtschaft in allen Punkten zu befriedi- gen. Die Hochschulen müssen ihren Stu- dierenden ein breites Grundwissen vermit- teln. Sie können nicht passgenau die Ab- solventen für jeden einzelnen Arbeitsplatz liefern. Das müssen die Unternehmen schon selbst leisten. Und sie müssen für bestimm- te Berufe auch selbst werben.
Bock: Das machen wir, nicht nur bei „Ju- gend forscht“. Wir haben schon vor zehn Jahren mit anderen Unternehmen die bun- desweite Initiative Wissensfabrik gegrün- det. In diesem Netzwerk arbeiten wir mit Schülern und jungen Gründern zusammen und fördern unternehmerisches Denken und Handeln. Da finden sie ganz tolle Leute, die mit viel Begeisterung an die Sache he- rangehen.
Treten Sie auch direkt in den Schulen auf?
Bock: Wir wollen Schüler für Naturwis- senschaften begeistern. Das ist nicht immer leicht. Lehrer müssen sich zum Teil recht- fertigen, wenn sie mit der Industrie zusam- menarbeiten.
Wanka: Schlimm und nicht nachvollzieh- bar. Wir investieren Millionen, um den Transfer zwischen Wirtschaft und Wissen- schaft zu fördern. Auch hier wird versucht, gute Kooperation auf obskure Weise in Miss- kredit zu bringen.
Bock: Vor allem, weil wir dies nicht zum Recruiting betreiben, auch wenn der Ver- dacht oft mitschwingt. Wenn die Schulen dann sehen, dass wir den Schülern tatsäch-
Bildungsministerin Johanna Wanka
lich Spaß an der Sache vermitteln, sind sie in der Regel begeistert. Aber diese Hürde muss man erst mal überwinden.
Wanka: Sie müssen sich gar nicht ent- schuldigen, Herr Bock. Letztendlich hilft das doch auch den Schülern für ihren spä- teren Beruf.
Viel bewirkt hat das alles offenbar nicht, vor allem nicht bei Frauen. In Fächern wie Maschinenbau oder Elektrotechnik liegt ihr Anteil noch immer unter 20 Prozent.
Wanka: Aber es gibt Fortschritte! In Ma- thematik machen Frauen schon jetzt die Hälfte der Studierenden aus. In anderen Fä- chern, vor allem technischen, müssen wir noch daran arbeiten, das stimmt.
Müssen Sie also mehr tun, damit Deutschland für Fachkräfte aus dem Aus- land attraktiver wird?
Wanka: Nach den Vereinigten Staaten und Großbritannien sind wir schon jetzt das drittbeliebteste Land für ausländische Studenten, mit einem besonders hohen An- teil in den technischen Fächern. Das hat- ten wir noch nie. Wir müssen nur darauf achten, dass diese Leute dann auch Ange- bote aus der Wirtschaft bekommen. Das ist nicht immer einfach.
Bock: Das müssen Sie uns nicht sagen. Ungefähr ein Drittel der Wissenschaftler,
die wir in Deutschland einstellen, stammen aus dem Ausland. Ein Teil davon hat schon in Deutschland studiert, andere kommen direkt von internationalen Hochschulen zu uns. Dadurch hängen wir nicht allein vom deutschen Bildungssystem ab. Deshalb ist die Suche nach Akademikern bei uns noch kein Problem. Die Schwierigkeiten liegen woanders.
Aber die meisten Schüler wollen doch heutzutage sowieso studieren!
Bock: Stimmt. Wer heute nicht studiert, hat fast schon ein schlechtes Gewissen, ob- wohl die Aussichten nach einer guten Be- rufsausbildung hervorragend sind.
Wanka: Jahrelang ist Deutschland für seine niedrige Akademikerquote interna- tional gescholten worden. Heute interes- sieren sich andere Länder für unsere duale Ausbildung, die maßgeblich für Deutsch- lands wirtschaftlichen Erfolg ist. Auch die Einstellung der Wirtschaft hat sich mit der demographischen Entwicklung geändert.
Bock: Ich will dafür ein Beispiel nennen, wie anspruchsvoll die Ausbildung bei uns in Deutschland ist. Wir haben in Schanghai ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aufgebaut. Da forschen hochspezialisierte Wissenschaftler, denen mehrere Laboran- ten zur Seite stehen. Bei uns ist das ein Aus- bildungsberuf. In China stellen wir dafür Uni-Absolventen mit Bachelor-Abschluss ein. Wir bringen ihnen dann bei, was bei uns Chemie-Laboranten ganz selbstver- ständlich mitbringen. Daran erkennen Sie, wie hoch das Ausbildungsniveau in Deutschland ist.
Das Gespräch in seiner ganzen Fassung führten Ralph Bollmann und Inge Kloep- fer.
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