Page 18 - Konsens 2015
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FOKUS
verpflichtet, im Krieg zu kämpfen und den Feind, der unsere Heimat überfallen hat, zu töten. Im Grunde ist das aber untypisch für die Frau. Männer stehen so etwas leich- ter durch.“
Eine Scharfschützin habe ihr beispiels- weise gesagt, sie wisse nicht mehr, wie die Frauen das alles eigentlich geschafft hätten.
Und dann schaut Swetlana Alexijewitsch mich nachdenklich an und fragt: „Sind nicht alle unsere Vorstellungen vom Krieg männ- lich geprägt?“
Nur männliche Begriffe für militärische Bereiche
Ich stimme ihr zu und sage, dass es in den meisten Sprachen sowieso nur männliche Begriffe für militärische Bereiche gäbe. Zum Beispiel die Dienstgrade.
Und dann spricht sie nachdenklich wei- ter: „Auch die Erinnerung an den Krieg wird bei Frauen und Männern verschieden ausgedrückt. Das Frauengedächtnis fixiert im Krieg einen Gefühlsbereich, der von den Männern, die der Krieg als Aktion fesselt, meist unbeachtet bleibt. Frauen leiden mehr unter psychischen und moralischen Über- belastungen als Männer, denen es doch mehr um militärgeschichtliche Tatsachen geht.“
Diese Erfahrungen habe ich auch bei an- deren Interviews gemacht und frage sie nun, wie sie mit den einzelnen Gesprächs- partnern umgeht:
„Swetlana, ich habe Ihre drei Bücher, die bis jetzt auf Deutsch erschienen sind, gele- sen. Sie handeln mehr oder weniger von der Geschichte. In ‘Der Krieg hat kein weib- liches Gesicht’ kommen Frauen zu Wort, die im Großen Vaterländischen Krieg kämpf- ten. ‘Zinkjungen’ hat den Afghanistankrieg zum Thema und Sie lassen ehemalige rus- sische Soldaten und deren Angehörige spre- chen. ‘Im Banne des Todes’ handelt zwar von der Gegenwart, greift aber sehr stark auf die beiden genannten Kriege zurück. Alle drei Bücher zeigen vor allem die Sicht der kleinen Leute. Aber auch die Sicht von innen, die psychologische, ist vorhanden.
Sie bringen die Gefühle der Menschen sehr stark zum Ausdruck. Fragen Sie eigentlich die Menschen direkt danach?“
Und lächelnd antwortet sie mir ohne lange zu überlegen mit ihrer singenden Stimme:
„Ich arbeite meistens mit einem Tonband- gerät, so wie Sie jetzt. Ich suche mir Men- schen aus, die in besonderer Weise auf mich wirken, also Menschen, bei denen ich sehe, dass sie Gefühle zeigen können. Das sind nicht sehr viele. Vielleicht jeder fünfte. Das können Männer und Frauen sein. Ich schreibe also im Stil der Gefühle. Man kann sagen, dass die Wirklichkeit nicht in ihrer realen Form besteht. Es gibt nur Vergange- nes oder Zukünftiges. Das Thema, über das wir vor zwei Minuten sprachen, gehört schon der Vergangenheit an. Drei Men- schen, die über ein und dasselbe sprechen, können drei verschiedene Meinungen dazu haben. Das sind dann ihre Gefühle. Wenn die Menschen mir ihre Geschichte erzählen, frage ich nach Einzelheiten und dann kom- men diese Gefühle ganz von selbst aus ihnen heraus.“
Das kenne ich auch.
Aber weshalb schreibt sie immer wieder über den Krieg? Und deshalb frage ich sie: „Es scheint mir, als stechen Sie immer wieder in Wunden mit Ihren Themen. Das tut Ihnen doch auch selbst weh. Warum machen Sie das? Ist das nicht ungeheuer anstrengend und psychisch belastend? Heißt das für Sie, dass Sie damit als Schriftstelle-
rin Ihre Nische gefunden haben?“
Wie Gefühle zum Ausdruck kommen
Sie schaut mich verwundert an und sagt ruhig: „Diese Methode und auch diese The- matik sind für mich notwendig. So kom- men Gefühle wahrhaftig zum Ausdruck. Wenn es sie nicht mehr gibt, dann gibt es auch keine Menschlichkeit mehr. Es gibt keine andere Möglichkeit, von Leiden zu erfahren, wenn sie nicht erzählt werden. Und dann leidet man selbst mit“, fügt sie leise hinzu.
Damit die Tragödie nicht vergessen wird
„So sehe ich die Welt. Und ich möchte, dass die Tragödie, die damals passiert ist, nicht aus der Erinnerung der Menschen ver- schwindet.“ Sie meint vor allem das Ster- ben und Morden durch Hitler im Großen Vaterländischen Krieg, denke ich. Und ich muss sie noch fragen:
„Sie selbst leiden doch sehr stark mit. Wie können Sie diese Anstrengung verkraf- ten? Wie gehen Sie damit um?“
Und mit klugem Lächeln antwortet sie mir Folgendes: „Es gibt für mich zur Zeit keinen anderen Weg. In unserem Land ist so viel Schreckliches und Unerhörtes ge- schehen, dass ich mich bis jetzt noch kei- nem schöneren Thema, wie etwa der Liebe, widmen konnte. Wir durchleben hier in Belarus eine sehr historische Zeit. In mei- nem Buch ‘Im Banne des Todes’ habe ich versucht, sie zu verdeutlichen, diese Ge- genwart. Manche Leute haben nämlich Angst vor der Auseinandersetzung mit der Geschichte und andere machen bewusst die Augen zu. Aber die Zukunft kann man nicht ohne das Wissen um die Vergangen- heit aufbauen.“
Wie ist eigentlich ihre Arbeit einzuord- nen, frage ich mich schon die ganze Zeit und deshalb möchte ich noch von ihr wis- sen: „Sehen Sie Ihre Arbeit eher als histori- sche oder als literarische?“
Sie meint dazu, dass sich das eine nicht vom anderen trennen ließe und sagt: „Ich bin froh, dass ich über das, was passiert ist, schreiben und erzählen kann. Ich bemühe mich um einen Stil, der bei den Menschen ankommt. Manchmal bin ich selbst persön- lich sehr enttäuscht, dass er auf manche Menschen so gar keine Wirkung hat.“
Nach diesen Worten steht sie auf, reicht mir liebenswürdig die Hand und sagt, sie müsse jetzt leider das Gespräch abbrechen.
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