Page 43 - Konsens 2015
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Das muslimische Kopftuch –
pro und kontra
Ursula Sarrazin stellt die Frage: Ist das muslimische Kopftuch im öffentlichen Dienst ein Zeichen für Freiheit und Toleranz?
Am 13. März dieses Jahres hat das Bun- desverfassungsgericht geurteilt, dass muslimische Amtsträgerinnen im öffentli- chen Dienst das Kopftuch als Zeichen ihrer Religionsfreiheit tragen dürfen. Ein Problem dabei ist, dass das Kopftuch in dem Ruf steht, gar kein religiöses Zeichen, sondern ein Zeichen für ein bestimmtes Rollenbild der Frau zu sein, eines Rollenbildes, das nicht mit unserem Grundgesetz im Ein- klang steht. Damit würde es die rein reli- giöse Bedeutung verlassen und zu einem politischen Symbol werden.
Ich nehme einmal an, dieser oben er- wähnte Ruf sei falsch und das Tragen des Kopftuches diene ausschließlich dem Aus- druck der Religionsfreiheit. Wo bleibt dann das religiöse Zeichen der Religionsausübung für den muslimischen Mann? Während die Frau Kopf, Hals und Haare verhüllt, läuft er im T-Shirt ohne jedes religiöse Zeichen herum!
Welche Begründung bietet der Islam für diese einseitige „Bevorzugung“ des einen Geschlechts bei der öffentlichen Darstel- lung ihrer Religionszugehörigkeit? Mit die- ser Frage wird man immer wieder auf den Koran verwiesen, die Frau müsse sich vor den Blicken der Männer schützen, um nicht ihre Begehrlichkeiten zu wecken, die sie wohl ohne Verhüllung der Frau nicht be- herrschen könnten. Wenn diese Aussage stimmen sollte, kann ich kein religiöses Motiv für das Tragen eines Kopftuches ent- decken, eher eines, das auf ein problemati- sches Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der islamischen Kultur deutet.
Wenn Frauen ein solches – die Männer zudem diskriminierendes – Männerbild bei- gebracht wird, ist es wohl ein Leichtes, sie
zum „freiwilligen“ Tragen des Kopftuches zu bewegen, denn nur mit Kopftuch kön- nen sie sich ja sicher und beschützt fühlen, was dann als gestärktes „Selbstbewusst- sein“ erlebt wird, aber das genaue Gegen- teil bedeutet. Im Übrigen gibt es viele Wege, Menschen dazu zu bringen, etwas „freiwil- lig“ zu tun! In diesem Fall haben sich die Frauen die Sichtweise der mächtigeren Männer zu eigen gemacht, sie heißen die Kontrolle über ihren Körper für gut und tra- gen so zu seiner Sexualisierung bei.
Einzug in die Klassenzimmer
Jetzt hält das Kopftuch Einzug in unsere Amtsstuben und Klassenzimmer. Das heißt, Staatsdienerinnen im Amt dürfen – aus re- ligiösen Gründen – ein Kopftuch tragen. Bei uns hat der Staat die Pflicht, sich welt- anschaulich-religiös neutral zu verhalten. Deshalb gibt es u. a. das Berliner Neutrali- tätsgesetz, das alle religiösen Symbole im öffentlichen Dienst verbietet. Deshalb hat der BVG 1995 im katholischen Bayern die Kruzifixe aus den Klassenzimmern ver- bannt. Begründet hat es das mit der nega- tiven Religionsfreiheit: Niemand darf gegen seinen Willen mit religiösen Äußerungen konfrontiert werden. Wie verträgt sich das mit diesem Urteil des Bundesverfassungsge- richts? Wir haben allgemeine Schulpflicht, d. h. die Kinder müssen zur Schule gehen – sie sind damit auch gegen ihren Willen – und dem ihrer Eltern – dem Zeichen des Kopftuches ausgesetzt, wenn die Lehrerin eines im Unterricht trägt. Der Hinweis des Gerichtes, bei Störung des allgemeinen Schulfriedens sei das Tragen des Kopftu- ches zu unterlassen, trägt den Konflikt in
die einzelne Schule und ist zudem praxis- fern. Wie soll die Bedrohung des Schulfrie- dens denn festgestellt werden, im Zweifels- fall juristisch einwandfrei? Wenn ein oder mehrere Lehrer zum Personalrat gehen? Wenn Eltern (Wie viele? Bei wem?) sich beschweren? Oder wenn Schüler (Wie?) reagieren? Oder muss alles zusammenkom- men? Wer entscheidet? Wie lange muss so ein Konflikt dauern? Eine Woche, ein Jahr? Gerichtsverfahren können bis zu zwei Jah- ren und länger dauern. Wie soll eine Schu- le, die wirklich genug zu tun hat, diese Kon- flikte schultern?
Jede Lehrperson hat Vorbildcharakter. Was für ein Signal geht von einer Lehrerin aus, die vor der Klasse verhüllt unterrich- tet? Eine Lehrerin mit appellativem Kopf- tuch ist für mich nicht mehr religionsneu- tral und vermittelt zudem ein Frauenbild, das nicht mit unserem Grundgesetz über- einstimmt.
Jeder hat schon von Ehrenmorden ge- hört. Nicht jeder weiß, dass es für musli- mische Mädchen lebensgefährlich sein kann, sich einer Zwangsheirat zu entzie- hen. Sie brauchen dann besonderen Schutz, der bis zur Änderung der Identität gehen kann, weil die Familie sie verfolgt und mit dem Tod bedroht. Diesen Ausdruck von Religion finde ich einfach abstoßend. Wa- rum sollen deutsche Staatsbürger im Dienst durch Tragen des Kopftuches vor einer Schulklasse für solch eine Einstellung wer- ben dürfen?
Das BVerfG hat leider ein vielleicht gut- gemeintes, aber sicherlich weltfremdes Ur- teil gefällt, das dazu beitragen wird, die In- tegration muslimischer Bürger zu be- und verhindern.
KONSENS 2015
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FORUM
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