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DAB-AKTIV
sodass auch ökonomische Überlegungen dafür sprechen, dass die Frau zuhause bleibt. Wenn die Frau sich dennoch traut, als Wissenschaftlerin mit Kind oder Kin- dern zu arbeiten, könnte sie in eine der Fal- len laufen, die berufstätigen Müttern auf- gestellt werden.
Der Weg zur doppelten Karriere hat nur wenige institutionelle Leitplanken, erst ei- nige deutsche Universitäten bieten eine dual-career-Beratung an. Das Paar muss sich meistens selber helfen. Das lässt sich nur über Kompromisse lösen: zeitweise getrenn- te Wohnorte, zeitweises Zurückstecken der eigenen Ziele – das ist zwar kein spezifi- sches Problem der Wissenschaft, ist aber in diesem Bereich besonders relevant.
In einem Blog der „Jungen Akademie“8 war das so formuliert: Wir haben uns immer geeinigt. Abwechselnd haben wir auf mei- nen und dann auf seinen Karriereschritt Rücksicht genommen. Ein gutes Konzept – aber was ist, wenn das nicht so einfach geht? Es kommt bei der doppelten Karrie- re nicht nur auf die Abstimmung der Ehe- partner an, sondern auch auf die Rahmen- bedingungen.
Im Bereich der Wissenschaft kommt noch das Problem des Flaschenhalses hinzu. Das Verhältnis von Nachwuchswissenschaft- lern zu den jährlich frei werdenden Profes- sorenstellen ist so ungünstig, dass zwangs- läufig eine große Zahl von Habilitierten, Juniorprofessoren oder wissenschaftlichen Mitarbeitern keine Universitätsprofessur erlangt oder lange Warteschleifen durch- laufen muss.9
Familiengründung – ein kompliziertes Unterfangen?
Die Geburt eines Kindes ist für die Eltern ein herausgehobenes Datum, aus Sicht der Gesellschaft ist es aber ein normales Ereig- nis oder sollte es sein. Die Franzosen schei- nen sich damit leichter zu tun. Sie bekom- men ihre Kinder früher, und sie bekommen mehr Kinder10. Neben den bekannten öko- nomischen Faktoren und der staatlich gere-
gelten Betreuung kommt es auch auf die Mentalität an. In Deutschland haben wir die Tendenz, vieles zu problematisieren, überall Gefahren zu sehen und den Indivi- dualismus zu übertreiben. Da Akademiker relativ spät Eltern werden, wird diese Hal- tung noch verstärkt. Jeder kennt Beispiele von anstrengenden Kindern und ange- strengten Eltern, die anderen die Lust auf Familie nehmen. Uns fehlen Vorbilder, die zeigen, dass es auch anders geht.
Eine familienfreundliche Vertragssitua- tion für Nachwuchswissenschaftler wäre wünschenswert. Vielleicht hilft es, sich beim Anspruch an berufliche Sicherheit an dem Durchschnitt der Bevölkerung und nicht an den Beamten zu messen. Selbstständige leben immer mit einem Risiko, und auch Angestellte können gekündigt werden.
Insgesamt dürfte die ökonomische Situa- tion von Wissenschaftlern nicht schlechter sein als beim Durchschnitt der Bevölke- rung. Im Gegensatz zu vielen anderen Be- rufsgruppen können Wissenschaftler lang- fristig mit einem deutlich steigenden Ein- kommen rechnen11, sodass aktuelle finan- zielle Engpässe leichter zu überstehen sind.
Oft bestehen auch falsche Vorstellungen von den materiellen Ansprüchen eines Kin- des. Aussagen wie: „Ein Kind kostet so viel wie ein Reihenhaus“ sind irreführend und unsozial, denn dadurch werden Unkundi- ge abgeschreckt. Gerade in den ersten Lebensjahren sind die Aufwendungen für Kinder gering und können durch die finan- ziellen Hilfen des Staates wie Kindergeld, Elterngeld, Steuerfreibetrag und viele wei- tere Entlastungen bestritten werden. Bei drei Kindern entsteht ein Kindergeldan- spruch von 570 Euro (steuerfrei). Legt man den durchschnittlichen Mietpreis zugrun- de, so muss man in NRW für eine Wohnung von 120 m2 900 Euro Kaltmiete bezahlen. Etwa zwei Drittel der Miete wäre durch das Kindergeld gedeckt.
Im Einzelnen gibt es allerdings Unstim- migkeiten, z. B. beim Elterngeld. Wenn eine Promotion nur durch ein Stipendium finanziert wird, handelt es sich nicht um ein anrechenbares Arbeitseinkommen, so-
dass anschließend das Elterngeld auch nur in der Höhe des Mindestsatzes von 300 Euro ausgezahlt wird. An dieser Stelle ist über eine Nachbesserung nachzudenken.
Das wichtigste Problem aber dürfte die Betreuung sein, verbunden mit der Frage, welche Betreuung und Zuwendung ein Kind braucht.
Zuwendung lässt sich nicht wie Hausar- beit rationalisieren. Auch in früheren Zeiten wurde ein Kind nicht 24 Stunden lang durchgehend von seiner Mutter betreut und erst recht nicht vom Vater, der sich üb- licherweise aus der Versorgung der kleinen Kinder heraushielt. Im Handwerk und in der Landwirtschaft haben Frauen schon immer mitgearbeitet. In höheren Kreisen leistete man sich ein Kindermädchen, das oft sehr viel mehr Zeit mit dem Kind ver- brachte als die Mutter selbst. Man muss sich deshalb heute nicht erst von einem Mutterideal lösen, das in der Wirklichkeit nur in den seltensten Fällen gelebt wurde. Genauso wenig konnte ich beobachten, dass arbeitende Frauen als Rabenmutter be- zeichnet wurden.
Betreuung wird unterschiedlich bewertet
Der Unterschied der heutigen Betreuungs- situation zu früher liegt nicht darin, dass die Eltern sich heute weniger um ihr Kind küm- mern, auch nicht, dass sie weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die Betreuung der Kinder ist heute aus dem Haus in die Betreuungseinrichtung verlagert mit der Folge, dass sich kleine Kinder schon dem Arbeitsrhythmus einer erwachsenen Gesell- schaft anpassen müssen. Das gipfelt in der Forderung nach einer 24-Stunden-Kita.
Diese Form der Betreuung wird, abhän- gig von der eigenen Sozialisation, unter- schiedlich bewertet. Die Allensbach-Studie zeigt, dass bei einem größeren Teil der Müt- ter – im Westen mehr als im Osten – der Wunsch besteht, die Kinder bis zum voll- endeten zweiten Lebensjahr selbst zu be- treuen. Dabei zeigen auch Väter die Ten- denz, diese Betreuung zu übernehmen.
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