Page 37 - Konsens 2015
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Vielleicht würden einige dieser Eltern bei einem noch besseren Betreuungsangebot ihre Meinung ändern und ihre Berufstätig- keit früher wieder aufnehmen. Möglich ist aber auch, dass man hier auf eine Minimal- forderung der Familie stößt, die durch wei- tere Betreuungsangebote nicht unterlaufen werden kann. Die Gesellschaft muss die Entscheidung der Eltern respektieren. Dem betreuenden Elternteil – bisher meistens der Mutter – muss Vertrauensschutz ge- währt werden, sodass sie auch nach einer Elternzeit von zwei Jahren ohne Nachteile in den Wissenschaftsbetrieb wieder einstei- gen kann.
Perspektive des Lebenslaufes
Nach diesen Überlegungen müsste der aka- demische Lebenslauf neu überdacht wer- den.
Zwischen dreißig und vierzig wird es eng, weil gleichzeitig erhöhte Anforderungen in Beruf und Familie bestehen. Kann man die sogenannte Rush-Hour des Lebens entzer- ren, indem man frühere oder spätere Le- bensphasen einbezieht?
Zunächst ist zu fragen, was zwischen zwanzig und dreißig im Lebenslauf passiert. Das Abitur nach zwölf Jahren und die Ein- führung des Bachelors haben u. a. das Ziel, die Lebensuhr nach vorne zu stellen. Alle Abschlüsse können früher erreicht werden. Auch die Abschaffung des Wehrdienstes trägt dazu bei.
Vielfach ist aber zu hören, dass Abituri- enten ein freiwilliges soziales Jahr machen, weil sie zu jung zum Studium seien. Auch andere Wege gibt es, den Abschluss hinaus- zuzögern, wie Wechsel des Studienfaches oder Auslandsaufenthalte. Geschieht das aus Angst, erwachsen zu werden? Oder soll man dem Menschen die Zeit bis zum Alter von 30 zugestehen, um sich selbst zu fin- den? Darüber sollte es eine gesellschaftli- che Debatte geben.
Auf Grund der gestiegenen Lebenserwar- tung gibt es einen großen Zuwachs an Le- benszeit im Alter. Noch existiert kein Kon-
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zept, wie man Anleihen bei diesem späte- ren Zeitkontingent machen kann. Das muss aber gerade im Bereich der Wissenschaft möglich sein, weil die geistige Kapazität bis über das Erreichen der Altersgrenze hinaus zunehmen kann. Auch die Altersgrenze selbst muss hinterfragt werden. Je später diese gesetzt wird, desto mehr entspannt sich der Ablauf nach vorn.
Auf den richtigen Zeitpunkt, Kinder zu bekommen, sollte man nicht warten, es gibt ihn nicht. Man kann allerdings feststellen, dass der biologisch optimale Zeitpunkt für die Mutter eher in den zwanziger als in den dreißiger Jahren liegt. Die Erfahrung zeigt, dass junge Eltern sich mit Kindern leichter tun. Aber nicht nur die Zeitplanung der El- tern, auch die Lebenszeit des Kindes will bedacht sein. Die Kindheit ist eine unwie- derbringliche Phase im Leben eines Men- schen, die in besonderer Weise geschützt werden muss.
Konsequenzen für Familien
Es gibt viele Bekenntnisse zur Familie, aber was sind sie wert? Auch für Steuerehrlich- keit spricht sich die Mehrheit aus, aber woher kommen dann die vielen Fälle von Steuerbetrug? Es ist wohlfeil, sich für Fa- milie auszusprechen, sie zu haben oder sie anderen zu ermöglichen, ist etwas Ande- res.
Wer Familie in der Wissenschaft fördern will, muss die Unstimmigkeiten im prakti- schen Leben beseitigen. Viele Puzzlesteine müssen ineinander gefügt werden, die in unterschiedliche Kompetenzen fallen, z. B. in die Gesetzgebung des Bundes, der Län- der, die Organisation der einzelnen Univer- sitäten und als weiche Faktoren in die Ein- stellung der Leitungsgremien in der Wis- senschaft und in der Gesellschaft überhaupt: • Bessere Arbeitsbedingungen für junge
Wissenschaftler: Novellierung des Wis-
senschaftszeitvertragsgesetzes
• Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung auf zwei Jahre bei der Betreuung eines
• Die Uhr nach vorne stellen: Kurze Schul- und Studienzeiten, Mut zum Erwachsen- werden
• Bessere Regelung für Elterngeld bei der Promotion
• Familienförderbericht der Universität durch die Gleichstellungsbeauftragten • Private Initiativen zur Familienförderung
• Positive Darstellung von der Leistungs- fähigkeit der Mütter und Väter im Beruf • Änderung des gesellschaftlichen Klimas
Um dieses zu erreichen, sollten Wissen- schaftler in der Familienphase sich vernet- zen. Von Seiten der Universitäten wünsche ich mir einen Runden Tisch, der die recht- lichen und organisatorischen Fragen bear- beitet.
Eine Vernetzung findet auch im Deut- schen Akademikerinnenbund statt. Ich danke allen jungen Akademikerinnen in- nerhalb und außerhalb unseres Verbandes, die mir ihre Sicht der Dinge geschildert und damit zu diesem Vortrag beigetragen haben. Dieser Generation von Frauen wünsche ich in besonderem Maße Glück und Lebenser- folg.
1 Sandra Beaufay: Von Goldgräbern und Körperlosen.
Mythos und Alltag wissenschaftlicher Lebensführung, zitiert nach Tanja Paulitz, Melanie Goisauf, Sarah Zapusek: Work- Life-Balance+Wissenschaft=unvereinbar? Zur exkludierenden Vergeschlechtlichung einer entgrenzten Lebensform, Gender Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2/15 ISSN 1868-7245 S. 133
2 Yvonne Ziegler, Regine Graml, Caprice Weissenrieder: Karrie- reperspektiven berufstätiger Mütter , Cuvillier Verlag Göttin- gen, S. 38
3 Karen Sievers und Jürgen Westermann: Was dem Medizinstu- dium fehlt FAZ 30. Juli 2015
4 Institut für Demoskopie Allensbach:
Weichenstellungen für die Aufgabenteilung in Familie und Beruf Juli 2015, S. 9-10
5 Katherine W. Phillips: Der Vorteil sozialer Vielfalt, Spektrum der Wissenschaft, Juli 2915, S. 63
6 Yvonne Ziegler, Regine Graml, Caprice Weissenrieder: Karrie- reperspektiven berufstätiger Mütter , Cuvillier Verlag Göttin- gen, S. 58
7 Institut für Demoskopie Allensbach:
Weichenstellungen für die Aufgabenteilung in Familie und Beruf Juli 2015, S. 17
8 http://www.wuf.diejungeakademie.de/
9 Michael Hartmer Die Saat muss aufgehen können, FAZ 10.
September 2015
10 Pascal Thibaut in der Sendung „Presseclub“ vom 26.7.2015 ·
http://www1.wdr.de/daserste/presseclub/sendungen/fa-
milienpolitik164.html
11 Sven Astheimer: Das verdienen Berufseinsteiger, FAZ 25./26.
Juli 2015
DAB-AKTIV
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