Page 46 - Konsens 2015
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FORUM
Antidiskriminierungsstelle alarmiert:
Studierende brauchen besseren Schutz vor sexueller Belästigung
Studierende sind nur unzureichend vor sexueller Belästigung geschützt. Zu die- sem Ergebnis kommt eine Rechtsexpertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Anders als für Beschäftigte gibt es für Studierende keine eindeutigen und transparenten Regelungen“, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders. „Die sind aber dringend nötig.“ Sie forderte unter anderem die Ein- führung von eindeutigen Beschwerdever- fahren sowie die Verankerung eines Diskri- minierungsverbots in allen Landeshoch- schulgesetzen, das sexuelle Belästigung aus- drücklich als Bestandteil umfasst.
„An den Universitäten müssen dieselben Regeln gelten wie in der Arbeitswelt“, sagte Lüders. „Wer sexuelle Belästigung erlebt, muss eine schnelle und umfassende Unter- stützung erhalten – egal wo und wem sie passiert. Sonst entsteht bei den Betroffenen der Eindruck, dass ihre Erfahrungen nicht ernst genommen werden. Das darf nicht sein.“
Einer EU-weiten Studie (www.gender- crime.eu, EU-Projekt 2009-2011, Befra- gung von mehr als 21.500 Studentinnen) zufolge ist bereits mehr als jede zweite Stu- dentin in Deutschland (54,7 Prozent) wäh- rend der Zeit des Studiums sexuell beläs- tigt worden. Ein Drittel der Übergriffe kam aus dem Umfeld der Hochschule.
Im Allgemeinen Gleichbehandlungsge- setz (AGG) ist der Schutz vor sexueller Be- lästigung ausdrücklich geregelt. Nach §3 Absatz 4 AGG stellt sexuelle Belästigung eine verbotene Diskriminierung dar. Diese Definition gilt allerdings nur im Bereich des Arbeitslebens, also in diesem Fall für Be- schäftigte der Hochschulen bzw. auf den Zugang zum Beruf, nicht für die Studieren- den.
„Das ist eine Schutzlücke, die geschlos- sen werden muss“, kritisierte Lüders. Se- xuelle Belästigung sei nicht nur eine enor- me psychische Belastung: „Sie kann auch Auswirkungen auf die gesamte weitere akademische Karriere haben, insbesonde- re wenn Betroffene nicht ausreichend Schutz erfahren.“ Dies könne vom Auswei- chen auf andere Fächer oder Seminare, um Tätern nicht zu begegnen, dem Verzicht auf ein soziales Universitätsleben bis hin zum Studienabbruch reichen.
Lüders forderte die Hochschulen auf, niedrigschwellige und transparente Be- schwerdeverfahren festzulegen, für deren Umsetzung qualifizierte Mitarbeitende, wie z.B. Gleichstellungsbeauftragte, zuständig sein sollten. „Erhebungen zeigen, dass viele Studierende überhaupt nicht wissen, auf wen sie im Fall einer sexuellen Belästigung zugehen können“, bemängelte sie. „Hier ist an vielen Hochschulen eindeutig eine bessere Kommunikation gefragt.“
Die Autorinnen der Expertise stellen unter anderem fest, dass es bisher kaum Hochschulen gibt, die eigene Richtlinien zum Verbot sexueller Belästigung zwischen Studierenden erlassen haben. „Diese sind aber notwendig, um klarzustellen: Sexuel- le Belästigung wird weder geduldet noch bagatellisiert“, sagte Lüders. Die Richtlini- en müssten auch klare Sanktionen auf- listen, je nachdem, ob Täter Beschäftigte, Studierende oder Dritte seien.
Sie schloss sich der Empfehlung der Ex- pertise an, in den Hochschulgesetzen der Länder ein ausdrückliches Verbot sexuel- ler Belästigung zu verankern. Die Landes- gesetzgeber könnten darüber hinaus die Hochschulen zur Ausarbeitung oder zum Erlass klarer Richtlinien gegen sexuelle Belästigung ausdrücklich verpflichten.
Christine Lüders,
Leiterin der Antidiskriminierungsstelle
Die Expertise „Sexuelle Belästigung im Hochschulkontext – Schutzlücken und Empfehlungen” wurde von Prof. Dr. Eva Kocher und Stefanie Porsche (Europa-Uni- versität Viadrina, Frankfurt/Oder) erstellt. Sie können Sie unter www.antidiskriminie- rungsstelle.de herunterladen.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bun- des (ADS) ist mit Inkrafttreten des Allge- meinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der eth- nischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Be- hinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
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