Page 47 - Konsens 2015
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Ein Blick voraus und zwei zurück
Festrede anlässlich der 14. Verleihung des Mestemacher-Preises „Managerin des Jahres“, der von unserem DAB-Mitglied
Prof. Dr. Ulrike Detmers initiiert wurde.
Von Dr. Elke Holst
Stellen Sie sich vor, wir befinden uns im Jahr 2115, also 100 Jahre in der Zukunft. Wir sind auf der legendären 114. Verlei- hung des Mestemacher Preises „Manage- rin des Jahres.
Frau Detmers erzählte mir gerade, dass einige von Ihnen über den gerade eröffne- ten Flughafen Berlin Brandenburg angereist sind. Sie können sich nun entspannen... Lehnen Sie sich also zurück und lassen Sie uns noch einmal kurz auf alte Zeiten zu- rückblicken.
I. Theoretische Vorüberlegungen
In der grauen Vorzeit vor 100 Jahren – also 2015 – übernahmen Frauen in Deutsch- land noch den größten Teil der Haus- und Familienarbeit. Männer waren von diesen Tätigkeiten weitgehend befreit und galten noch als Ernährer der Familie.
Führungspositionen waren vorwiegend von Männern besetzt, Frauen verdienten im Schnitt über ein Fünftel weniger als Män- ner.
Diese gesellschaftliche Realität wurde von der Ökonomie als Ergebnis rationaler individueller Entscheidungen erklärt. Im Wesentlichen wurde dabei auf zwei Ansät- ze zürückgegriffen: den ‚New Home Econo- mics‘ (auf Deutsch: der neuen Haushalts- ökonomie) und der Humankapitaltheorie. An der Entwicklung dieser Ansätze in den 1960er- bis in die 1990er-Jahre war der 2014 verstorbene Nobelpreisträger Gary Becker maßgeblich beteiligt.
Die Neue Haushaltsökonomie hatte erst- mals sichtbar gemacht, dass im Haushalt
gearbeitet wurde und diese Arbeit eine Anstrengung erforderte. Davor war in der Arbeitsangebotstheorie nur zwischen Er- werbsarbeit und Freizeit unterschieden worden. Im Mittelpunkt der neuen Haus- haltsökonomie stand – wie der Name sagt – der Haushalt.
Dieser wurde als kleine Fabrik angese- hen. Der Gesamtnutzen der kleinen Fabrik konnte durch eine Spezialisierung der Ehe- leute auf unbezahlte Haus- und Familien- arbeit sowie Erwerbsarbeit maximiert wer- den. In seinem Modell ging Gary Becker davon aus, dass es einen altruistischen Haus- haltsvorstand gab, der den Nutzen aller Haushaltsmitglieder optimierte – mit ande- ren Worten, er ging von einem wohlmei- nenden Patriarchen aus.
Weiterhin ging er davon aus, dass Ehe- frauen eine stärkere Präferenz für Haus- und Familienarbeit hätten als Ehemänner. Ehefrauen sammelten so mehr Humanka- pital in diesem Bereich an als Männer. Diese stärkere Präferenz sei – wie Becker schrieb – dem ‚Vorteil’ geschuldet, Kinder gebären zu können. Die Präferenzen der Ehefrau galten damit als ‚natürlich’ und dauerhaft.
Wer im Haushalt welche Tätigkeiten ausübte, entschieden dann komparative Kostenvorteile. Vereinfacht ausgedruckt heißt das: Da Ehefrauen meist weniger ver- dienten als Männer (und ‚besser’ Hausar- beit verrichten konnten), war es rational, dass der Mann sich auf die Erwerbsarbeit spezialisierte und die Ehefrau die unbezahl- te Hausarbeit in der kleinen Fabrik über- nahm.
Aber warum verdienten Ehefrauen we- niger? Auf dem Arbeitsmarkt verhielt sich eine Ehefrau nach der Humankapitaltheo-
Dr. Elke Holst
rie wiederum völlig rational, wenn sie selbst bei gleicher Qualifikation wie der Mann ge- ringer bezahlte Tätigkeiten ausübte. Ehe- frauen würden ja – im Unterschied zum Mann – zuhause ihre Hausarbeit verrich- ten und Hausarbeit sei nun mal anstren- gender als Freizeit und andere Haushalts- aktivitäten. Da Frauen ihre Energie effizient einsetzen wollten, würden sie sich weni- ger fordernde Jobs suchen – also nicht un- bedingt Führungspositionen. Die Produk- tivität von Ehefrauen war somit pro Stunde geringer als die von Männern.
Frauen wurden also nicht diskriminiert. Staatliche Eingriffe erübrigten sich.
Der geringere Verdienst der Ehefrauen aufgrund ihrer ‚Präferenz‘ für Hausarbeit war nach der neuen Haushaltsökonomie wiederum ein Grund für ihre Spezialisie- rung auf Hausarbeit. Genau diese zirkulä- re Argumentation rief viel Kritik hervor. Wurde hier nur nach rationalen Entschei- dungsregeln für in der Gesellschaft beob- achtbare Phänomene gesucht, die dann als rational gewertet wurden? – das war der Vorwurf... und daran ist auch etwas dran.
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